Im Schnurrviertel in Minden läßt es sich gestern wie heute gut leben. Hat man den Aufstieg in die Obere Altstadt erst bewältigt, kann man sich diesem Zauber nicht entziehen.
Zwischen krummen Häusern und in verwinkelten Gassen scheinen die Uhren noch anders zu ticken. Einst bei vielen Mindenern als arme Leute Viertel bekannt und gemieden, konnte sich hier ein eigener Geist entwickeln. Denn Not macht bekanntlich erfinderisch und so ist im Mindener Schnurrviertel , das was heute in aller Munde ist, eine alte, gewachsene Tradition. Dinge zu sammeln und aufzubewahren, um sie bei Zeiten zu reparieren oder ihnen einen neuen Sinn zu geben.
Kesselflicker, Porzellannieter, Lumpensammler, Handwerker, Händler und viele andere lebten und arbeiteten hier und machten aus der Not eine Tugend. Diesen Geist wollen wir hier oben pflegen und wiederbeleben.
Altes neu erfinden, scheinbar Bekanntes neu entdecken, aus Nichts oder Wenig etwas Kleines oder Großes zu machen, um so sich und anderen eine Freude zu bereiten oder zum Staunen zu bringen. Dafür müssen die Schätze, die hier im Schnurrviertel im Verborgenen schlummern, gefunden werden. Die Bewohner mit ihren alten und neuen Geschichten, mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten Denn auch das Miteinander ist im Mindener Schnurrviertel eine alte Tradition. Denn Not schweißt zusammen und so war Rat und Tat der Nachbarn und Freunde in damaliger Zeit überlebenswichtig und ist auch heute noch eine Selbstverständlichkeit.
Hier im Schnurrviertel kennt man sich und hilft man sich, auch ohne Gegenleistung. Und so leben die bunt zusammengewürfelten Schnurrviertelbewohner aus aller Herren Länder friedvoll zusammen,…… ja,…… im Schnurrviertel läßt es sich gestern wie heute gut leben.
In einer Zeit als das Wünschen noch geholfen hat, lebten in der ostwestfälischen Provinz, in einem kleinen Konvent eine handvoll Dominikanermönche.
Fast vergessen vom fernen Rom lebten sie hier ihr beschauliches Klosterleben und erledigten gewissenhaft ihre Mönchpflichten. Gebet, Studium und Predigt, aber auch Seelsorge füllten ihren Tag. Daneben mussten aber auch ganz gewöhnliche Tätigkeiten in Haus, Hof und Garten verrichtet werden, die der Gemeinschaft der Brüder dienten. Jeder der Ordensmitglieder, bevorzugte je nach seiner Neigung eine bestimmte Arbeit. Pater Hermann z.B. liebte die Gartenarbeit und mit hingebungsvollem Eifer bestellte er den Acker und konnte beträchtliche Ernten einfahren. Pater Franco, vom Herrgott nur mit spärlichem Haarwuchs gesegnet, hatte sich den Rauchwaren verschrien. Pater Jörga wiederum, der stets auf seinem störischen, alten Esel zum Markt ritt, kochte leidenschaftlich gerne und beglückte die Bewohner des Klosters mit phantasievollen Köstlichkeiten. Bruder Torstus war der Handwerker im Konvent, tagein, tagaus sägte, hämmerte oder bohrte er und baute allerlei, wundersame Nützlichkeiten, die den beschwerlichen Arbeitsalltag der Dominikaner erleichterte.
Pater Angelikus war für die Finanzen zuständig, akribisch führte er Buch über Einnahmen und Ausgaben der Bruderschaft. Und dann war da noch Pater Timbus, der die Mönchkutten mit allerlei Finessen ausstattete.
Nur einer machte dieser eingeschworenen Gemeinschaft Kummer, Pater Benedikt. Trotz aller Bemühungen war er des Lesens und Schreibens nicht richtig mächtig geworden und auch sonst schien er keine besonderen Fähigkeiten zu besitzen. Aber die anderen Mönche mochten ihn und so ließen sie ihn gewähren und bedachten ihn mit nur leichten Arbeiten. Oft sah man ihn, im Klostergarten, unter dem alten Apfelbaum sitzend, umringt von einer Horde Katzen auf die er einredete. Die sonst eher scheuen Tiere schienen seinen Worten zu lauschen und schnurrten behaglich, so dass es von weit her zu hören war. An manchen Tagen zeichnete er die Tiere und schrieb mit seiner ungelenken Schrift sonderbare Namen, wie kleines Gespenst oder Findus unter diese Bilder der Katzen. Diese Zeichnungen sammelte er in einer unscheinbaren Kladde und versteckte sie sorgfältig an einem geheimen Ort.
Hin und wieder schlichen sich die anderen Mönche, angelockt durch das laute Schnurren der Tiere, in die Nähe des Sonderlings und lauschten seinen Worten von denen sie, wie auch die Katzen sogleich gefesselt wurden. Mit seiner ruhigen und sanften Stimme entführte Mönch Benedikt seine Zuhörer in andere Welten, in denen zauberhafte Wesen zum Leben erwachten und unmögliches möglich wurde. So bürgerte sich ganz, ganz allmählich im Dominikanerkloster St. Pauli in Minden, fast vergessen vom fernen Rom eine neue Tradition ein, einmal bei Neumond versammelten sich die Mönche unter dem alten Apfelbaum und ließen sich von Bruder Benedikts Geschichten in ferne, noch niemals gesehene Welten entführen.
Aber auch den einfachen Menschen, die Handwerker, Kaufleute und Marktbeschicker die um das Kloster herum in ihren ärmlichen Behausungen lebten und arbeiteten und oft ein entbehrungsreiches Leben führten , blieb diese neue Tradition in dem nahen Dominikanerkloster nicht lange verborgen und nach und nach versammelten sich am besagten Tag immer mehr Menschen unter dem alten Apfelbaum, die sich der Magie der Geschichten von Pater Benedikt nicht entziehen konnten. Und so war bald rund um das Kloster die Aussage „Komm wir gehen ins Schnurrviertel“ gleichbedeutend mit, wir tauchen ein in eine andere Welt.
Mit Aufgabe des Dominikanerklosters 1760 ging die Tradition des Geschichtenerzählens auch hier verloren und auch das Schnurrviertel geriet mehr und mehr in Vergessenheit. Lediglich die ungeheuer große Anzahl von Katzen und ihre sonderbaren Zusammenkünfte , die von lautem Schnurren begleitet werden, erinnern auch heute noch an das Schnurrviertel.
Bei privaten Baumaßnahmen in der Oberen Altstadt in Minden im Jahre 2016 wurde u.a. die unscheinbare Kladde Pater Benedikts mit seinen umfangreichen Katzenbildern entdeckt, mit deren Hilfe nun endlich die Existenz des Schnurrviertels belegt werden konnte an die wir nun wieder anknüpfen möchten.
Oder war die Geschichte so…
In einer Zeit als das Wünschen noch geholfen hat, lebten in der ostwestfälischen Provinz, fast vergessen vom fernen Rom in einem kleinen Konvent eine handvoll Dominikanermönche.
Obwohl immer noch fest im Glauben, bestimmten die Sorgen und Mühen des täglichen Lebens und ihre seelsorgerischen Tätigkeiten mehr und mehr ihre Gedankenwelt und so gerieten das Studium, die Predigt und das Gebet fernab von Rom in den Hintergrund.
Zu jener Zeit, als die Not der einfachen Leute oft sehr groß war und es nur wenig Hilfe gab, ließen sich auf der anderen Seite der Brüderstraße, die damals nur ein einfacher Weg war, der durch eine von Mauern umgebene Gartenlandschaft führte, eine handvoll Beginen nieder.
Die Beginen waren Frauen, die zwar fest im Glauben standen, aber dennoch für die damalige Zeit eher ungewöhnlich selbständig und freiheitsliebend waren und sich nicht in die Abhängigkeiten einer Ehe bringen wollten. Stattdessen bevorzugten sie das selbstbestimmte Leben gemeinsam mit anderen Frauen in einer Gemeinschaft.
Wie bei dem Kloster gegenüber widmeten sie sich neben ihren alltäglichen Arbeiten auch der Seelsorge und Pflege, der in ihrer Nähe lebenden Bevölkerung.
So kam es dazu, dass sich Dominikanermönche und Beginen bei ihren Tätigkeiten außerhalb oft begegneten. Nach anfänglichen Unsicherheiten und Zieren lernten sich die gottesfürchtigen Dominikanermönche und die freiheitsliebenden, unabhängig denkenden Beginen mehr und mehr kennen, achten und schließlich trotz aller Vorbehalte lieben.
Doch obwohl die Bevölkerung sowohl die strenggläubigen Dominikaner als auch die unabhängigen Frauen sehr mochten, wären Liebschaften in der Öffentlichkeit undenkbar gewesen und so wussten die Liebenden sich nicht anders zu helfen als die beiden Wirtschaftgebäude durch einen Tunnel miteinander zu verbinden.
Reste des Tunnels wurden in der Brüderstraße 15 im Garten des Hauses bei privaten Umbaumaßnahmen entdeckt.
Neben ihrer Liebe zu den Menschen hatten die Beginen in ihrem Herzen auch Platz für Tiere und so nahmen sie sich auch den herumstreunenden, einäugigen oder dreibeinigen Katzen an, die sich für die Zuwendung mit lautem Schnurren bedankten, welches schon von weit her zu hören war. So bürgerte es sich ganz allmählich ein, dass das Viertel in der Nähe des Klosters und dem Haus der Beginen als Schnurrviertel bezeichnet wurde.
Als die Grabung des Tunnels nun endlich vollbracht war, konnten die Beginen und die Dominikaner nun endlich ihre Liebe feiern und sich ungesehen von der Öffentlichkeit treffen.
Um jeden Verdacht im Keim zu ersticken, griffen die Beginen zu einer kleinen List. An den Abenden der geheimen Treffen stellten sie ein besonders helles Licht ins Fenster, welches sie im nahen Kolonialwarenladen erstanden. Des weiteren beglückten sie ihre Katzen mit ausgesuchten Leckereien und betörten sie mit fremden Kräutern, die sie ebenfalls bei dem geschäftstüchtigen Händler erwarben. Der ein frommer Mann war, mit gutem Herz, der es Dank der Dominikaner und Beginen zu einigem Wohlstand gebracht hatte und diesen ihr Glück nicht neidete. Die fügsam gemachten Katzen, ihrer allesamt pechschwarz, rekelten sich nach dem Festschmaus wohlig im Fenster und schnurrten ungewöhnlich laut, so dass die Bewohner der umliegenden Häuser über jeden Zweifel erhaben, fest im Glauben waren, dass die Beginen zuhause waren und ihre Katzen an diesem Tag besonders verwöhnten. So kam es dazu, dass sowohl die schwarzen Katzen, als auch der freundliche Kolonialwarenhändler verbündete der Liebe zwischen Beginen und Dominikanern wurden.
Viele Jahre zogen ins Land und es wurden auch einige Kinder geboren, die man heimlich in umliegende Häuser, oder auch in der Ferne unterbrachte, wo sie von anderen Beginen, die ähnliches erlebten liebevoll, aber frei im Denken aufgezogen wurden.
So ging es viele Jahre und im Schnurrviertel ließ es sich gut leben, weil die Liebe regierte……bis sich das Blatt schließlich wendete.
Der Krämer gegenüber, der ein gottesfürchtiger Mann war, aber ein hartes Herz hatte, schöpfte allmählich Verdacht. Akribisch führte er aus der Ferne Buch über die Verkäufe des Kolonialwarenhändlers und registrierte neidvoll den bescheidenen Wohlstand, der sich bei diesem gutmütigen, stets freundlichen Mann über die Jahre einstellte. Ebenso neidete er den Beginen und Dominikanern ihre unübersehbare Glückseligkeit, die die Liebe so mit sich brachte und so deckte er das, was damals nicht seien durfte, auf, so dass es sogar das ferne Rom erreichte.
Nach dem scheußlichen Verrat wussten die Dominikanermönche aus Angst um Leib und Seele sich nicht anders zu helfen, als ihre geliebten Beginen samt ihrer schwarzen Katzen, der Hexerei zu beschuldigen und sie zu opfern.
Damit begannen auch hier in Minden die dunklen Jahre der Hexenverfolgung, an denen der Dominikanerorden maßgeblich beteiligt war und denen ungezählt viele Frauen und ihre meist schwarzen Katzen zum Opfer gefallen sind.
Mit dem Verschwinden der Beginen und ihrer schwarzen Katzen gerieten auch die glückseligen Jahre zur Zeit des Schnurrviertels, als noch die Liebe und Güte regierte, in Vergessenheit.
Doch wieder scheint sich das Blatt zu wenden….
Denn auf mysteriöse Art und Weise haben sich an gleicher Stelle wieder eine handvoll freiheitsliebender Frauen aus Nah und Fern hier eingefunden, die umgeben von einer bunten Katzenschar und nur einigen, wenigen ebenfalls freidenkenden Männern hier im Schnurrviertel leben und arbeiten……
vielleicht ein Fingerzeig der Geschichte……
© Polynesia Dolittle